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Mit Verlaub, Eure Majestät, Ihr seid nicht meine Majestät

Sätze über Grate

Man wundert sich über all die Bergsteiger, die von «majestätischen Gipfeln» sprechen, den «Thronsaal der Alpen» preisen oder von der «Königsroute» schwärmen. Sie lieben die Freiheit, aber machen sich zu Höflingen, sobald ihnen Grösse gegenübersteht. Frohgemut legen sie die Eisen an und besteigen ihren Piz Paradox. Aber wie kamen die Gebirge eigentlich zu ihren monarchischen Titeln?

Gesellschaftliches Ansehen erhielten die Alpen erst während der Aufklärung durch die Natur- und Freiheitsideale. Zur Blütezeit der Königreiche waren sie nichts weiter als im Weg liegende Steinhaufen mit Bewohnern, die bestenfalls zum Söldnermaterial taugten. Es war kein vorgezeichneter Weg, der zu einer Alpenrezeption führte, die heute selbstverständlich erscheint. Umso interessanter ist er nachzulesen im eben erschienenen Buch «Majestätische Berge». Eine Bergtour, die uns zuerst in die Oper führt. Am 1. Mai 1830 fand in London die Uraufführung von Gioachino Rossinis «Guillaume Tell» statt. In Paris war der Armbrustschütze als Tyrannenmörder und Freiheitsheld gefeiert worden. Für England schrieb man das Libretto auf einen genehmeren Alpenhelden um, den Tiroler Andreas Hofer. Unter dem Titel «Hofer, the Tell of the Tyrol» trat nun ein Königstreuer auf, der sein Land gegen die Republik verteidigt. Wo der Schlusschor in Paris gesungen hatte: «Freiheit, steig wieder vom Himmel herunter, dein Reich möge neu beginnen!», sang er in London: «Heil dem Hause Habsburg! Tirol ist der Krone zurückgegeben!» Die Sage vom Tell konnte also sowohl mit einem republikanischen als auch mit einem monarchischen Bergler aufgeführt werden. Damit verkörperte er den Widerstreit der neuen und der alten Gesellschaftsordnung, die beide ihr eigenes Alpenbild propagierten. Wo den liberalen Kräften galt: «Auf den Bergen ist die Freiheit! Der Hauch der Grüfte steigt nicht hinauf in die reinen Lüfte», sahen die Monarchisten in den Bergbewohnern «Kraft, Treue, Einfalt, ein noch unverdorbenes Geschlecht», das, «während alles sich krampfhaft bewegt, ruhig als Muster dessen steht, wie es überall sein sollte». Wo Republikaner die Landsgemeinden als Verwirklichung von Bürgerrechten idealisierten, erkannten die Royalisten eine ungerechte Pöbelherrschaft, die nur in kleinen Staaten funktionieren könne, in denen es keine sehr reichen Personen gebe. Ein Ende fand das Ringen um die Deutungshoheit erst, als die Hochwohlgeborenen ihre Schlösser verliessen und selbst in die Berge kamen. Sie sommerfrischten, jagten, entflohen höfischen Zwängen oder schickten ihre Sprösslinge auf Grand Tour, um ihnen Bildung und Charakter angedeihen zu lassen. Damit folgten sie einem Trend, den die aufklärerischen Eliten gesetzt hatten. Und es gefiel ihnen so gut, dass es etwa in Ischl bald zuging wie bei Hofe. Residenzen wurden gebaut, die Infrastruktur erweitert. «Royal-Spotter» konnten dem König nun auf einem Spaziergang begegnen, was wiederum dem Bürgertum so gut gefiel, dass die Kurorte der königlichen Familien zu Tourismusmagneten wurden. Als dann auch noch die im Alpenraum entstehende Baukultur den aristokratischen Vorbildern mit historistischen Hotelpalästen nacheiferte, war der Wandel von der republikanischen Alpenbegeisterung zum «majestätischen» Alpenbild der Belle Époque vollzogen.

Die Autoren führen uns elegant durch diese Alpenliebe, die kühl beginnt und immer inniger wird, je ungemütlicher es für die Königshäuser in ihren Stammlanden wurde. Eine Lektüre, die viel Historie hinter die Schwärmerei packt und erklärt, weshalb wir in die Berge auf- und im Schlosshotel Royal absteigen.


Buch: Jon Matthieu, Eva Bachmann, Ursula Butz: Majestätische Berge. Die Monarchie auf dem Weg in die Alpen 1760–1910. Baden: Hier und Jetzt, 2018. Ausstellung: «Queen Victoria in der Schweiz 1868» im Historischen Museum Luzern. 29. März bis 16. September 2018.


 

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