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Der Schreibrausch und ich (3)

Wenn die Selbstsabotage den Mund hält.

Beim Hanteltraining bin ich ganz bei mir, denke scharf und schnell: in Szenen oder unsortierten Sätzen. Oft höre ich erste Dialoge zwischen Figuren. Ziemlich schnell weiss ich: daraus lässt sich etwas machen. Oft ist es auch einfach: nichts. Aber wenn, dann weiss ich: jetzt geht es los. Jetzt bin ich in der Zwischenzone. Jetzt trete ich über vom durchaus aufregenden Alltag mit seinen Auftragstexten, umzutopfenden Kakteen und sozialen Kontakten in den Rausch, wo alles möglich und alles erlaubt ist. Einzige Regel: Telefon im Flugmodus.

Höchstens zweimal im Monat gerate ich in diesen Zustand, davon hält er einmal überhaupt über mehrere Tage an. Für den wirklichen Rausch ist die Textsorte entscheidend. Nur wenn es um völlig freie Texte geht, wenn überhaupt nicht sicher ist, ob und wie er irgendwo vorkommen könnte. Bühne? Zeitung? Radio? Wenn eben das Schöpferische entscheidend ist, bin ich im Rausch.

Mehrheitlich schreibe ich aber Auftragstexte, weil ich damit mein Geld verdiene. Da veranstalte ich jedes Mal ein Theater, bis ich den Text abgebe. Dramatisch und raumgreifend bin ich zwar immer, wenn ich schreibe. Das sei mein radikal empfindsames Gemüt, sagt mein Arzt. Berauscht mache ich aber kein Theater. Dann bin ich mutig, angetrieben, alleine und produktiv. Dann schlägt die Freiheit nicht in Unsicherheit um, und nichts hält mich davon ab, ins Phantastischste hinein zu erfinden. Die Selbstsabotage hält den Mund und für drei Tage ist alles schön, hell und leicht. Ja, wenn alles schwebt, werde ich noch einmal ganz anders wach. Ich komme dann ganz ohne Uppers aus: kein Alkohol, Kaffee oder Grüntee. Um wach zu bleiben, esse ich Gemüse, Hühnchen, Früchte und gebe viel Geld für ayurvedische Tees im Reformhaus aus. Abends gehe ich vor Mitternacht ins Bett und schlafe acht Stunden. Ausser Rauchen. Das tu ich, so viel ich will und überall in der Wohnung. So. Und jetzt: Hanteltraining.

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Es schreibt.

Was haben wir dem Geniekult nicht alles zu verdanken. Schiller und Goethe in Endlosschlaufen. Die Erwartung an Schriftstellerinnen und Schriftsteller, ihre Texte in nächtlichen Schaffenseskapaden eher zu entbinden als zu schreiben. Schreibpornographische Anwandlungen, zelebriert auf Social Media: Stapel handschriftlich vollgesudelter Blätter auf allen Timelines. Die Vorstellung eines ungestümen Schreibrauschs, der sich auf unausgeschlafene Schreiberinnen und […]

Einmalig leicht

Schreiben – ein Rausch? Schreiben ist eine Qual. Begleitet von Zweifeln an mir und Zweifeln an der Sache. Ich steige nur ungern in diesen dunklen Keller hinab. Ich tue es, weil Glanz, Ruhm und Geld die Mühen wert sind. Einen Schreibrausch habe ich ein einziges Mal erlebt. Er dauerte von Februar bis August im Jahr […]

Abbildung 2: Hans Morgenthaler, Brief an Elisabeth Thommen (Schweizerisches Literaturarchiv, Bern/Nachlass Hans Morgenthaler).
In den Rausch schreiben

Der erste Kontakt zwischen dem Verleger Egon Ammann und seinem künftigen Hausautor Thomas Hürlimann beginnt mit einer Irritation. Bei einem Aufenthalt in Berlin um 1980 will Ammann die Gelegenheit nutzen, sich mit Hürlimann spontan zu verabreden. Doch bekommt er auf Anfrage zunächst eine abschlägige Antwort: Es gehe erst abends, da Hürlimann tagsüber «feste Bürozeiten» einhalte. […]

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