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Confoederatio Trivialis

Trash, Schrott und Schund in der Schweiz. Eine Spurensuche.

Confoederatio Trivialis
Heftchen, photographiert von Laura Clavadetscher.

Es beginnt natürlich in der Bahnhofsbuchhandlung. Aber Dr. Norden, Perry Rhodan, Julia und Co. muss man heute selbst im Zürcher HB lange suchen. Da, hinter LandKind, LiebesLand, LandZauber, LandIdee und Regalen voller Reiseführer, Ratgeber und Rätsel, also wirklich ganz, ganz hinten, steht ein wackliger Drehständer. Ist der Heftroman schon tot?

«Ja, damit fängt heute niemand mehr an. Die Leser sterben weg, die Sammlerpreise sind im Keller.» Hans Weiss muss es wissen, der 84-Jährige ist der grösste Heftromansammler der Schweiz. Über 10 000 Stück lagern in seinem Flawiler Keller. In der Sekundarschule begeisterten «Rolf Torring’s Abenteuer» ihn für das Genre, für fünf Rappen verlieh er die Hefte an Schulkameraden. Und hörte nicht mehr auf. Weiss er, dass er Schund sammelt? «Selbstverständlich.» Mark Severa vom Zürcher «Sammelpunkt» sekundiert: «Der Heftroman ist eine aussterbende Spezies.» Einige Reihen, gerade im Fantasy- und Science-Fiction-Bereich, hätten durchaus das Zeug, auch Junge zu begeistern. «Aber die wissen gar nicht, dass das existiert.» Severa betreibt sein «Antiquariat für Trivialliteratur» im 21. Jahr. Zehn weitere, sagt er, werde er sicher noch durchhalten, an einen Nachfolger glaubt er nicht.

Die goldenen Zeiten des literarischen Abfalls

Ein gut erhaltenes Perry-Rhodan-Heft, die Nummer eins von 1961, koste etwa 300 Franken. Höchstpreise wie bei Comics, zumal amerikanischen Comics, haben Heftromane nie erzielt. Mark Severa ist sich sicher: Auch Perry Rhodan – die am längsten erscheinende Fortsetzungsgeschichte der Welt, am Erscheinungstag dieser Zeitschrift kommt das 2950. Heft an den Kiosk – wird es nicht mehr lange geben. Jedenfalls nicht auf Papier. Besser geht es Miran Bilic vom Cora-Verlag: Acht Millionen seiner Herzschmerz-Heftromane verkaufe Cora pro Jahr, auch in der Schweiz lägen die Verkäufe «im Millionenbereich». Konkreter wird Bilic nicht. Die Printauflage sei zwar abnehmend, das könne man aber durch E-Books und Telenovelas teilweise auffangen. Die höchsten Auflagen mit über 100 000 «Julia»-Exemplaren gab es Anfang bis Mitte der 1990er Jahre, auch durch die Markterweiterung in die Ex-DDR. 90 Prozent der Leserschaft sind weiblich, 50 Prozent sind zwischen 39 und 59 Jahre alt und beziehen ein überdurchschnittliches Einkommen.

Die Aargauer Autorin Ursula Kahi hat als Cordula von Himmelwies (!) für genau diese Klientel geschrieben. Ihr Adelsroman «Mein Herz sagt: Ich liebe dich. Wie Elisabeth und Fürst Alexander zusammenfanden» erschien als Roman Nummer 1008 in der Kelter-Reihe «Fürstenkrone». «Es sollte nur eine Schreibübung sein, ich war gerade nicht besonders produktiv», erzählt Kahi. Auf dem Flohmarkt kaufte sie zur Vorbereitung 40 Heftromane, studierte ihren Aufbau und legte los: «Drei haben gereicht, um die Systematik zu erkennen: Praktisch auf die Seite genau ist vordefiniert, wann sich die Liebenden kennenlernen, wann der grosse Schicksalsschlag alles in Frage stellt usw.»

Daran habe sie sich gehalten und versucht, in diesem Rahmen möglichst viel zu variieren. Gar nicht so einfach. Mit dem Resultat nicht unzufrieden, schickte sie das Manuskript an den Kelter-Verlag. Bald rief eine Vertreterin an: sie seien interessiert. «Das war’s: kein Lektorat, kein Gegenlesen, kein Streit um Details. Das nächste, was vom Verlag kam, war die Zahlung.» 750 Euro erhielt Ursula Kahi für ihren Groschenroman. Zum Schreiben hat sie einen knappen Monat gebraucht – «viel zu lang», sagt sie. Weitermachen will sie dennoch. Nicht ausschliesslich mit Adelsromanen, aber zwischendurch gern. Gerade ist Kahi daran, die Verlagsrechte und den Autorinnennamen vom Verlag zurückzukaufen. Ziel: eine eigene Adelsserie und ein eigenes, rein digitales Vertriebs- und Erlösmodell. Die Zukunft des Trivialen ist digital.

Einen Markt für Schweizer Heftromane gab es auch in vordigitaler Zeit kaum, es fehlen die Massen zur Massenliteratur. Nur in der Groschenroman-Hochzeit in den 1940er und 1950er Jahren kamen populäre Serien aus der Schweiz: etwa «Chez Morell» um den Detektiv Paul Velan oder die «Jim Strong»-Reihe, die es auch nach Deutschland schaffte. Heute erscheint laut Impressum das umstrittene «Weltkrieg»-Magazin, Nachfolger der Kriegsverherrlichungsreihe «Der Landser», im obwaldnischen Sarnen. Nicht einmal dieser Güselkübel stinkt aber wirklich von hier: Die Adresse gilt als Fake.

Revival des Trash

Der Heftroman ist tot? – Man kann auch einen anderen Eindruck erhalten. Der Bieler Verlag die brotsuppe und das Oltner Literaturmagazin «Das Narr» brachten 2017 fast zeitgleich vielteilige «Hommagen an den Schund» heraus. Bei «Zürich liest» wurden Heftromane gelesen, und bei der BuchBasel gab das Künstlerduo Cathrin Störmer und Andreas Storm u.a. einen «von Saddam Hussein geschriebenen» Liebesroman zum besten. Ein Trash-Revival? Mit dem Segen des Literaturbetriebs gar?

Völlig neu ist es nicht, dass Autoren «besserer» Texte mit dem Niederen flirten: Peter Stamm schrieb schon Mitte der 1990er Jahre seine Antigroschenromane «Herbert – Sie liebten sich nur einen Sommer» und «Liebe zwischen Tal und Gipfel» (aus der fiktiven Reihe «Erna, die schöne Krankenschwester – Lieben und Leiden einer edlen Dulderin»). Patrick Frey war nach dem Erfolg seines Dr.-House-meets-Dr.-Norden-Romans «Das Geheimnis des Tramführers» geradezu genötigt, einen zweiten «Hausarzt Dr. Bolliger» nachzulegen. Er entschied sich für den Titel «Das Ekzem war ihr Schicksal». Und bei Regisseur Dominik Locher steht nicht nur ein Film im Hauptprogramm von Locarno im Lebenslauf, sondern auch ein Heimatroman beim Groschengrossverlag Kelter. Jedoch: Patrick Frey ist Komiker, Stamms Trivia erschienen im «Nebelspalter». Der parodistische Rahmen ist hier klar definiert. Auf der brotsuppe-Website dagegen steht die «Hommage an den Schund» direkt neben den Werken von Literaturpreisträgern. Kann das gutgehen?

Besuch in Biel. Sieben der 13 «Pulp Fiction»-Autorinnen und -Autoren sind ins Café Farel gekommen. Anders als die Berner Marc A. Herren – bis vor kurzem Stammautor bei Perry Rhodan – und die Bernerin Nicole Amrein – Autorin von «Dr. Katja König», einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Arztromanserien – bleiben sie (an dieser Stelle) anonym, jedenfalls fast: alle sind aktuelle oder ehemalige Absolventen des Schweizerischen Literaturinstituts. Für sie gehörte das zum Genre passende Pseudonym zur konsequenten Umsetzung eines Schundprojekts, genauso wie das höchstens grobe Lektorat, die genretypische Gestaltung und Typographie, die ergänzenden Kleinanzeigen. Der Druck auf Billigpapier scheiterte nur daran, dass die Offerten der Druckerei erst bei 100 000 Exemplaren anfingen.

Es ist das Produkt einer genuinen Bieler Idee: Autor «Oven P.G. Lanais» sass vor einigen Jahren mit Verlegerin Aeschbacher in einer Jury. Zu bewerten galt es Texte über Biel, eingesandt von den unterschiedlichsten Bielern und Biel-Kennern. Lanais und Aeschbacher waren sich einig: Die Texte von Kindern waren – mit all ihren Stilblüten und schiefen Metaphern – sprachlich meist interessanter als die von Lehrern, bei denen jedes Komma sass (die Lehrer in der Jury sahen das anders). «Zusammen mit einer gewissen Trotzreaktion gegenüber dem Buchhandel, der mir oft vorwirft, ‹zu wenig geschäftstüchtig› zu sein, zu ‹schwere› Bücher zu verlegen, führte diese Erfahrung zur Idee für das Schundprojekt», sagt Aeschbacher.

Für die Verlegerin ist es nicht die erste «Schundroman»-Erfahrung: Im Berlin der 1970er Jahre verdiente sie sich eine Zeitlang mit dem Verfassen von Groschenromanen ihren Lebensunterhalt, bevor sie nach einem Text über eine Bombe («zu experimentell») nicht mehr berücksichtigt wurde. «In gut zwei Wochen hatte man so einen Roman beisammen – vom Honorar konnte ich dann vier Monate leben», erzählt sie. Anders heute: die Auflage für «Pulp Fiction» ist dreistellig.

Zwischen Parodie und freundlicher Übernahme

Die Autoren, das wird im Gespräch deutlich, schätzten vor allem die befreiende Erfahrung, das ständige Sich-selbst-Bewerten beim Schreiben für einmal loslassen zu können. «Bei einem Schundroman fragt niemand: Bist das du?», sagt «Raul Rabbassi». Auf einmal passt im Zweifel das blumige Adjektiv, die Handlung darf abrupte Wendungen nehmen. «In solchen Schieflagen liegt zuweilen gerade das poetische Potenzial», drückt es Lanais aus. Nur zum obligaten Happy End, fügt «Emma Allen» hinzu, habe sie sich nicht durchringen können. Die Frage, ob das Resultat all dessen nun Schund sei, Literatur oder beides, ist für die meisten sekundär.

Bei den Machern der «Narr-Groschen» tönt es ähnlich: Es gehe um den spielerischen Umgang mit der Form, das Ablegen von Verboten der «ernsten» Literatur, das Laufenlassen der Erzählfreude in deftigen Szenen und überlebensgrossen Gefühlen, sagen die Herausgeber Lukas Gloor und Daniel Kissling. Im Gegensatz zur Bieler Konkurrenz haben ihre Autoren nicht unter Pseudonym geschrieben. Ein «Witz» seien die Groschen nicht: Literatur an Orte zu bringen, wo man sie nicht vermutet, gehöre zum Konzept. Mit den Groschenromanen reiben sie sich in erster Linie an betrieblichen Stereotypen – ein durchaus ernsthaftes Anliegen: «Das Stereotyp ist eine vereinfachende Form der Weltbetrachtung. Das ist nicht ungefährlich, weil Stereotypen immer gewaltsam sind, indem sie Identitäten fixieren und reduzieren.»

Die «Schundromane» aus Biel und vom «Narr» sind, sozusagen, Trash zweiter Ordnung, irgendwo zwischen Parodie und freundlicher Übernahme, also mindestens Meta. Salopp gesagt: gute Autoren können nicht verstecken, dass sie schreiben können – und wollen das vielleicht auch gar nicht. Mag auch die Handlung klischeehaft sein, die Sprache ist es nicht notwendigerweise. Gängige Wertungsschubladen sind irrelevant: wo Trash draufsteht, kann nun ein guter Text drin sein.1 Ob dieser Umstand aber ein ganzes Genre retten wird, ist ungewiss.

Mitarbeit: Laura Clavadetscher.


 

Stephan Bader
ist Redaktor dieser Zeitschrift.


1 Lesen Sie unsere Trash-Rezensionen in der «Literarischen Kurzkritik» hier.

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Illustration: Corinne Mock.
Verlogenes Pack

Trash ist uninteressant. Interessant ist das Gespräch darüber: denn es dreht sich stets um die kulturelle Distinktion zum Höheren über die Kenntnis des Niederen. Aber warum eigentlich? Ein Versuch.

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